Geschäftsführerin eines Ingenieurbüros | Statik, Entwurf und Planung
Julia Dicken hat ihre Karriere im Bauwesen im Jahr 2001 mit einer Ausbildung zur Bauzeichnerin begonnen. Anschließend studierte sie Bauingenieurwesen an der FH Münster und hat dort ihren Abschluss als Diplom-Ingenieurin erlangt. Nach ihrem Studium arbeitete sie knapp 9 Jahre lang als Bauleiterin in einem Bauunternehmen in Niedersachsen.
Im Anschluss an die Tätigkeit als Bauleiterin ist Julia Dicken in den Planungsbereich gewechselt und leitet nun seit 2016 als geschäftsführende Gesellschafterin die Ingenieurbüro Möller GmbH in Nordrhein-Westfalen.
Das Ingenieurbüro Möller ist spezialisiert auf den Entwurf, die Planung und die statische Berechnung von Tragwerken für den allgemeinen Hoch- und Wohnungsbau sowie für den Industrie- und Gewerbebau. Seit der Unternehmensgründung im Jahr 1979 hat das Ingenieurbüro mehr als 5.000 Projekte in Deutschland und in anderen Ländern realisiert.

In dem folgenden Interview berichtet Julia Dicken über ihre Studienzeit, ihren persönlichen Karriereweg und ihre vielseitigen Erfahrungen aus der Baubranche.
Experteninterview – Dipl. Ing. (FH) Julia Dicken
Hallo Julia! Am besten stellst Du Dich den Lesern kurz vor. Wer bist Du, wie ist Dein bisheriger Werdegang und was machst Du beruflich?
Mein Name ist Julia Dicken, ich bin 41 Jahre alt und ich bin eine von zwei geschäftsführenden Gesellschaftern hier bei uns im Ingenieurbüro. Ich habe 2001 den Abschluss als Bauzeichnerin gemacht bei einem Bauunternehmen im Nachbarort. Ich habe dort aber relativ schnell festgestellt, dass ich Bauzeichnen nicht mein Leben lang machen möchte. Es hat mir schon Spaß gemacht, aber ich habe damals schon gemerkt, dass ich noch etwas mehr machen möchte.
Da ich zu dem Zeitpunkt allerdings noch keine Qualifikation für ein Studium hatte, habe ich dann im Anschluss an die Ausbildung noch ein einjähriges Fachabitur gemacht. Aus heutiger Sicht würde ich das glaube ich nicht nochmal machen, weil das schon echt heftig war, in einem Jahr ein ganzes Fachabi durchzukloppen. Das kann ich also nicht wirklich empfehlen, aber es hat auch irgendwie funktioniert, sodass ich dann also im Anschluss daran studieren gehen konnte.
2007 habe ich meinen Abschluss gemacht als Diplom-Ingenieurin an der FH Münster und habe dann in dem Jahr auch direkt als Bauleiterin angefangen bei einer Baufirma in Nordhorn. Ich habe dort lange Zeit gearbeitet und mich auch total wohl gefühlt. 2016 habe ich dann allerdings den Schritt gewagt und bin hier ins Familienunternehmen mit eingestiegen.
Welche Bereiche deckt ihr in eurem Ingenieurbüro ab und was sind eure typischen Projekte?
Angefangen haben wir als Tragwerksplaner. Über die Jahre hat sich allerdings abgezeichnet, dass die Bauherren immer weniger Schnittstellen haben möchten und sich auch darüber freuen würden, wenn man Architektur mit machen könnte, sprich Bauanträge, Detailplanung und so weiter. Dann ist hier über die Jahre eine kleine Abteilung entstanden, sodass wir heute also auch den Bereich der Architektur mit anbieten.
Außerdem machen wir noch Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordination. Wir bearbeiten auch Schall- und Wärmeschutznachweise und seit 2 Jahren sind wir auch noch qualifizierte Vergabeberater. Das heißt, dass wir öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Aufträgen unterstützen.
Überwiegend sind wir im Industriebau tätig. Was wir ganz untergeordnet und nur sehr wenig machen sind Ein- und Zweifamilienhäuser oder kleinere Mehrparteienhäuser. Größere Mehrfamilienhäuser machen wir aber wieder. Wir machen auch viele Kitas, Altenheime, Demenzheime, Schulen, Gewerbebau und Autohäuser. Wir sind ebenso in der Schwerindustrie tätig, also im Kraftwerksbau oder im Anlagenbau. Eigentlich tummeln wir uns überall so ein bisschen […].
Was war das spannendste Projekt, an dem ihr bisher beteiligt wart?
Da gab es wahrscheinlich viel in den letzten Jahren, aber seit ich in der Firma bin, war das spannendste Projekt das Audi-Terminal in Karlsruhe. Das ist eines der größten und modernsten Autohäuser Deutschlands.
Dort wurde eine neue Lackier- und Karosseriewerkstatt errichtet und wahnsinnig viel Geld investiert, um innerhalb von 12 Monaten einen riesigen Bau hochzuziehen, der 108 Meter lang, 30 Meter breit und 22 Meter hoch ist und sich über fünf Geschosse erstreckt mit drei Parkdecks.
Dazu kommen 58 Hebebühnen, die die Autos warten und reparieren können und eine riesen Ausstellungshalle.
Das war in den letzten Jahren für mich persönlich mit das schönste Projekt, das wir begleitet haben.
Anmerkung: Unter den nachfolgenden beiden Links sind zwei kurze Videos zu dem beschriebenen Projekt beigefügt:
Was macht den Beruf der Bauingenieurin für Dich aus? Welche Aspekte machen Dir besonders Spaß und welche weniger?
Erstmal muss ich sagen, dass der Beruf total abwechslungsreich ist. Kein Projekt ist wie das andere. Man kann die Projekte überhaupt nicht miteinander vergleichen, weil auch die Randbedingungen jedes Mal andere sind – egal ob es der Untergrund ist oder die Baukubatur oder das Objekt an sich. Der Bauherr und die Menschen, die aufeinandertreffen, sind auch immer wieder anders.
Was ich auch immer super spannend finde, ist dass so viele unterschiedliche Menschen zusammenkommen, die trotzdem gemeinsam an einer Lösung arbeiten und ein Ziel verfolgen und am Ende immer irgendwie etwas Gutes daraus wird.
Außerdem setzen wir uns Denkmale hier in unserer Landschaft. Das finde ich ganz schön, wenn ich mal durch Deutschland fahre, kann ich immer sagen: „Ja da war ich schon und da habe ich mitgearbeitet“.
Wie sieht der Arbeitsalltag bei euch im Ingenieurbüro aus?
Der klassische Alltag für unsere Planer sieht eigentlich so aus, dass sie morgens so zwischen 07:00 und 09:00 Uhr hier bei uns eintrudeln. Jeder so, wie es ihm gerade beliebt, wir haben da keine strikten Arbeitsbeginne.
Dann wird erstmal geschaut, ob am Abend irgendwelche Probleme eingegangen sind anhand von E-Mails oder Telefonaten oder ob auf Baustellen nochmal was geklärt werden muss, weil dort vielleicht irgendetwas nicht passt oder unklar war. Da die Handwerker ja meistens morgens schon wieder früh vor Ort sind, versuchen wir sie natürlich immer möglichst schnell zu bedienen.
Dann setzen sich unsere Planer an ihren Computer und zeichnen, konstruieren, errechnen Statiken für die jeweiligen Projekte und führen Abstimmungsgespräche mit den Bauherren oder mit weiteren Fachplanern.
Wir fahren auch mal zur Baustelle raus, nehmen Aufmaße und schauen uns die Sachen vor Ort an. Das ist eigentlich so ein typischer Arbeitsalltag hier bei uns.
Du hattest eingangs erwähnt, dass Du vor Deinem jetzigen Beruf mehrere Jahre als Bauleiterin in einem Bauunternehmen gearbeitet hast. Wie kam es, dass Du in den Planungsbereich gewechselt bist? Was macht Dir aus heutiger Sicht mehr Spaß – Baustelle oder Büro?
Ich bin ja familiär bedingt schon mit dem Beruf großgeworden. Mein Vater hat die Firma 1979 gegründet und demzufolge kannte ich von zu Hause nichts anderes als ein Ingenieurbüro. In den Anfangsjahren war das Ingenieurbüro auch immer noch bei meinen Eltern zu Hause. Zwischenzeitlich seit einigen Jahren nicht mehr, weil wir immer weiter gewachsen sind. Ich bin als kleines Kind schon immer bei meinem Vater an den Schreibtisch gegangen und habe mit den Schablonen gezeichnet und hatte überhaupt einfach Spaß an dem Ingenieurberuf.
In der Baufirma, bei der ich gearbeitet habe, war ich zu 90 Prozent auf Montage, also immer auswärts. Ich habe da wahnsinnig viel gelernt. Das hat mir auch immer Spaß gemacht, aber das soziale Leben hier zu Hause und das soziale Umfeld leiden einfach darunter. Das holt man auch nicht am Wochenende auf, das schafft man nicht.

Da habe ich dann irgendwann für mich gedacht: „Ich habe das jetzt hier fast 10 Jahre gemacht und es hat mir immer super viel Spaß gemacht, aber ich möchte jetzt nochmal was anderes. Und immer meckern über die Planer, was jetzt hier auf der Baustelle nicht läuft, ist auch nicht die faire Art. Vielleicht sollte ich mal den Schritt weiter gehen, um zu schauen, wie es denn überhaupt ist auf der anderen Seite und was man da vielleicht noch optimieren kann und was man besser machen kann.“
Zum anderen kam auch immer der Wunsch aus der Familie, ob ich nicht mit ins Büro kommen will.
Ich habe früher immer gesagt, dass ich das nicht möchte. Mein Bruder war schon in der Firma und wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Ich habe damals gesagt: „Wer weiß, wenn wir zusammen arbeiten, ob das alles noch so gut funktioniert oder ob wir uns nicht privat in die Haare kriegen“.
Dann haben sie mich aber irgendwann so weit gehabt, dass ich gesagt habe, dass ich es jetzt versuche und euch hier unterstütze und den Schritt ins Ingenieurbüro gehe.
Und so kam es dann 2016, dass ich hier angefangen habe und ich bereue es bis heute überhaupt nicht. Ich habe auch zu der alten Firma noch einen guten Kontakt. Wir haben noch Projekte zusammen und sehen uns öfter. Dadurch, dass ich so lange in einer Baufirma gearbeitet habe, bin ich hier immer noch viel in der Bauleitung tätig, ich fahre also auch raus zu Projekten und schaue mir diese vor Ort an und koordiniere weiter.
Von daher habe ich immer noch das von früher, aber sitze eigentlich auf der anderen Seite des Tisches und kann dadurch ein bisschen mehr beeinflussen, auch vorher schon in der Planung […].
Gab es an der FH Münster die Möglichkeit, eine Vertiefungsrichtung zu wählen und falls ja, für welche hast Du Dich entschieden? War es die richtige Wahl?
Ja, gab es. Bei uns gab es damals vier Vertiefungsrichtungen. Das war einmal der konstruktive Ingenieurbau, dann gab es Wasser- und Abfallwirtschaft, das Verkehrswesen und den Baubetrieb. Wasser- und Abfallwirtschaft hat mich noch nie interessiert, Straßen- und Verkehrswesen jetzt auch nicht so wirklich. Dann blieb also entweder Baubetrieb oder der konstruktive Ingenieurbau.
Weil mein Bruder damals den konstruktiven Ingenieurbau gewählt hatte, habe ich mich dazu entschieden, Baubetrieb zu machen. Zumal Statik für mich auch ein bisschen dröge war zum damaligen Zeitpunkt.
Aus damaliger Sicht war es absolut richtig für den Job, den ich gemacht habe, also die Bauleitung. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, ich hätte vielleicht doch besser den konstruktiven Ingenieurbau wählen sollen, weil ich dann jetzt auf der Planungsseite vielleicht noch ein bisschen mehr Backgroundwissen hätte oder einige Sachen ein bisschen einfacher und schneller verstehen würde.
Ich glaube, dass es andersrum auch einfacher ist. Wenn man konstruktiven Ingenieurbau vertieft hat, in den Bauleitungsbereich zu gehen, ist glaube ich nicht so schwierig wie umgekehrt. Aber die Vertiefungsrichtung hat mir Spaß gemacht und das war damals auch die richtige Entscheidung.
Hat Dir die Ausbildung zur Bauzeichnerin bei Deinem Studium geholfen?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe bei meinen Studienkollegen zum Teil schon gemerkt, dass sie, gerade was Zeichensachen anging oder auch Verständnis für gewisse Planungssachen, einfach noch nicht so weit waren, weil sie direkt vom Abi kamen und noch überhaupt gar kein Vorwissen hatten.
Um schonmal in die Baubranche reinzuschnuppern und ein bisschen genauer zu erfahren, ob das überhaupt etwas für einen ist, finde ich eine Ausbildung im Handwerk vorher total sinnvoll und wichtig. Egal, ob ich jetzt eine Schreinerlehre mache oder Schlosser. Es gibt ja so viele Möglichkeiten, was man in der Baubranche machen kann. Also ich fand das auf jeden Fall sehr sinnvoll und hilfreich.
Hast Du sonst noch Tipps oder Empfehlungen für Studierende im Bauingenieurwesen?
Ich würde auf jeden Fall empfehlen, Praktika zu machen. Vielleicht auch nicht nur in einer Sparte, sondern in mehreren, um nicht nur auf dem trockenen Stoff zu hängen, sondern auch zu sehen, wie das draußen umgesetzt wird und was man nachher überhaupt gebrauchen kann, von dem was man macht, und wo man vielleicht später seine Schwerpunkte setzen kann.
Oder gegebenenfalls, wenn man sich nach einem Praktikum in einem Bereich wohl fühlt, auch schonmal irgendwo als Werkstudent anzufangen. Das hilft auch total viel.
Wir haben hier bei uns auch eine Werkstudentin, die anfangs gesagt hat, dass sie noch gar nicht richtig weiß, was sie machen will. Sie fühlt sich hier super wohl und hat sich schon richtig gut eingearbeitet. Sie macht mittlerweile schon kleinere Aufträge eigenständig und versteht dadurch auch im Studium viel mehr. Ihr fällt das Studium deutlich leichter in gewissen Bereichen und sie kann hier auch immer Fragen stellen, gerade wenn es um Prüfungsvorbereitungen und so etwas geht.
Vielen Dank für das Interview!
Gibt es abschließend noch etwas, das Du den Lesern mit auf den Weg geben möchtest?
Ich möchte abschließend nochmal sagen, dass der Beruf Bauingenieur ein super toller und abwechslungsreicher Beruf ist. Klar ist er auch teilweise mit viel Stress und Engagement verbunden, aber am Ende des Tages lernt man ganz viele nette Leute kennen und hat immer wieder herausfordernde Bauobjekte, die den Berufsalltag einfach nicht langweilig werden lassen und immer wieder interessant machen.