Selbstständiger Bauingenieur und Inhaber eines Ingenieurbüros
Rafael Heinrich (B.Sc.) absolvierte im Jahr 2018 sein Studium an der Hochschule Bremen. Bereits wenige Jahre nach seinem Abschluss hat er das Ingenieurbüro Köhler & Partner (ehemals Ingenieurbüro Claus Köhler) in Bremerhaven übernommen und arbeitet seither als selbstständiger Bauingenieur.
Zusammen mit seinem Team ist er in den Bereichen Neubau und Bauen im Bestand tätig. Das Ingenieurbüro deckt unter seiner Leitung die Themenbereiche der Planung, der Statik und der Architektur ab.
In dem nachfolgenden Interview bietet Rafael Heinrich spannende Einblicke in die Baubranche, berichtet von seinen eigenen Studienerfahrungen und erläutert seinen persönlichen Karriereweg.
Experteninterview – Rafael Heinrich B.Sc.
Hallo Rafael! Am besten stellst Du Dich kurz vor. Wie ist Dein bisheriger Werdegang und wo arbeitest Du derzeit?
Mein Name ist Rafael Heinrich. Ich habe das Bauingenieur-Studium an der Hochschule in Bremen absolviert. Das Studium habe ich mit dem Bachelor abgeschlossen und während meines gesamten Studiums und auch davor als Dachdecker im Reet-Dach-Bereich gearbeitet. Durch eine befreundete Architektin, die gemeinsam mit mir studiert hat und mittlerweile auch meine Geschäftspartnerin geworden ist, bin ich zu dem Beruf des Statikers bei meinem ehemaligen Arbeitgeber gekommen.
Nach 3,5 Jahren haben sich unsere Wege wieder getrennt und ich habe das Angebot erhalten, in dem ehemaligen Büro Claus Köhler als Ingenieur zu arbeiten. Seit dem 01.04.2022 habe ich das Büro übernommen mit dem Kürzel “Köhler und Partner”. Ich bin nun seit etwas mehr als einem Jahr als selbstständiger Ingenieur im Bereich Planung, Statik und Architektur unterwegs.
Was für Projekte bearbeitet ihr in eurem Ingenieurbüro?
Wir selektieren nicht direkt nach Projekten, die wir besser oder attraktiver finden, sondern wir bearbeiten alles vom Wanddurchbruch bis hin zur mehrstöckigen Aufstockung auf Bestandsgebäude. Mein Mentor sagte mir im Projektbereich an der Stelle immer: “Wir bauen von der Klobrille bis zum Hochhaus alles”.
Das bedeutet, ihr seid sowohl im Neubau als auch im Bauen im Bestand tätig? Inwiefern unterscheiden sich diese beiden Bereiche in der Praxis und welcher ist für Dich der interessantere?
Der Neubau und der Sanierungsbereich beziehungsweise das Bauen im Bestand sind wie Tag und Nacht. Im Neubau haben wir den Vorteil in unserem Büro, dass ich mit meiner Geschäftspartnerin, die Architektin ist, Rücken an Rücken sitze. Das heißt, ihre Entwürfe werden direkt mit unserer statischen Betrachtung in Symbiose gebracht […]. Das macht es natürlich sehr leicht, da wir uns so schon vorher abstimmen können.
Anders ist es beim Bauen im Bestand. Wir haben derzeit ein Projekt mit einer Aufstockung, die sehr viele Hindernisse mitbringt, was Brandschutz und statische Belange angeht. Ich würde sagen, dass das Bauen im Bestand auf jeden Fall die Reserven des Ingenieurs vollkommen entlockt, weil man sich auf einmal Gedanken machen muss um Sachen, die man im Neubau als selbstverständlich einplant.
Beim Bauen im Bestand stellt man aufgrund von alten Plänen häufig auf einmal fest, dass an einer Stelle eigentlich dieses oder jenes sein müsste und wir jetzt vor Ort etwas lösen oder errechnen müssen.
Es ist aber tatsächlich so, dass wir ein Faible für das Bauen im Bestand haben. Das ist das, was wir am liebsten machen – die Herausforderung, ein Gebäude zu errichten, das nicht mehr für den Ursprungsnutzen gedacht ist, sondern für eine komplett neue Nutzung und dabei die Kreuzungspunkte der Statik mit der Architektur zu verbinden und gleichzeitig die technischen Elemente zu integrieren. Ich sage immer, Bauen im Bestand ist die beste Art, sich als Ingenieur auszuleben.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Dir aus?
Soll ich die Frage allgemein beantworten oder möchtest Du etwas über meinen Alltag wissen?
Gerne beides!
Dann fange ich zuerst mit dem typischen Tag an, der nicht auf mich bezogen ist. Meistens ist es so, dass ab 06:00 Uhr das Telefon klingelt, weil die Handwerker in der Regel zwischen 05:00 und 06:00 Uhr auf den Baustellen sind und man dann die ersten Fragen beantworten und Probleme lösen muss.
Dank heutiger Technik sind diese Probleme mit Fotos oder Videoanrufen schneller gelöst als früher. Das macht es deutlich leichter. Ich wünsche mir, dass der aktuelle Stand der Technik bald weiterentwickelt wird, damit die Baustelle noch besser von außen bedient werden kann.
Nachdem die ersten Telefonate durch sind, folgt meistens die Baustellenbegehung. Dabei schaut man, wie der Stand der Dinge ist und was geschafft wurde, um zum Beispiel Abschlagsrechnungen fachgerecht auszahlen zu können. Dann werden im Büro die ersten Berichte geschrieben, weitere Telefonate geführt und gegebenenfalls noch nicht abgeschlossene Aufgaben abgearbeitet.
Nachmittags wird im Ingenieurbüro meistens die Statik gemacht. So ist es typischerweise bei mir gewesen, dass ich ab ca. 13:00 Uhr bis open end nur Statik gerechnet habe, weil ich dann die höchste Konzentration hatte. Die meisten Firmen sind ja auch nur bis 16:00 Uhr auf der Baustelle und man hat dann keine Ablenkung mehr durch Anrufe und wird nicht von seiner Arbeit abgehalten.
Mein persönlicher Alltag beginnt ebenfalls um 06:00 Uhr mit Telefonaten, ist aber anders gestrickt, da ich Familienvater bin […]. Ich frühstücke zuerst mit meinen Kindern, das ist mein Tagesritual. Vorher arbeite ich schon eine gute Stunde, beantworte Mails und führe Telefonate, frühstücke dann gemeinsam und bringe die Kinder zu KiTa und dann beginnt ab 08:15 Uhr mein eigentlicher Arbeitstag.
Ab dann ist es der typische Werdegang: Baustellenbegehung, Telefonate führen, gegebenenfalls Probleme spontan lösen und rausfahren, wenn sich diese nicht am Telefon lösen lassen. Der Alltag ist auch nicht jeden Tag gleich, weil man morgens noch nicht weiß, was auf einen zukommt.
Beim Bauen im Bestand hatten wir auch gerade zwei Fälle gehabt, bei denen etwas weder eingezeichnet noch vermerkt war und wir das Problem vor Ort lösen mussten, damit alles weiter funktioniert.
Der typische Arbeitstag als Selbstständiger ist im Prinzip von 06:00 bis 20:00 Uhr, wobei man dabei fairerweise sagen muss, dass man natürlich eine längere Mittagspause hat als üblicherweise.
Was macht Dir besonders Spaß an Deinem Beruf?
Die Funktion des Leitens. Ich leite Fachleute. Fachleute sind für mich alle, die einen Handwerksberuf ausüben. Ich selbst bin kein Fachmann in jedem Bereich, aber die Koordinierung und die Abstimmung zwischen beispielsweise einem Holzrahmenbauer, einem Trockenbauer, einem Elektriker und einem Heizungs-Sanitärbauer wird von mir getaktet. Das ist das, was mir mit am meisten Spaß macht, diese genaue punktuelle Taktung […].
Und selbstverständlich die Statik. Darin kann ich mich verrennen – nicht verrennen in dem Sinne, dass ich nicht weiterkomme, sondern dass ich mich bei vielen Details immer wieder dabei erwische, dass ich sage “eigentlich ist die Statik 100 Seiten zu viel, andererseits gibt es jetzt auch keine Rückfragen, weil die Statik jetzt bis auf die letzte Schraube ausgerechnet ist”. Diese beiden Parts sind diejenigen, die ich am liebsten mache.
Dann gibt es ja auch die Gegenfrage, was mir am wenigsten Spaß macht. Das wäre tatsächlich die Ausschreibung. Die Kostenanalyse selbst ist nicht das Problem, allerdings die Vorbereitung eines LV. Ein Mehrfamilienhaus beispielsweise beinhaltet irgendwas zwischen 16 und 20 Gewerken. Dies so auszuschreiben, dass die Gewerke Interesse daran haben, es auszuführen, es aber gleichzeitig auch nicht zu großen Nachträgen kommt.
Das ist das, was ich am wenigsten spaßig oder interessant finde. Es ist aber ein Job, den man machen muss.
Wie kam es, dass Du Dich für den Studiengang Bauingenieurwesen entschieden hast? Wolltest Du schon immer Bauingenieur werden?
Das war relativ schnell beschlossen bei mir. Ich hatte eine Lehre als Reet-Dachdecker angefangen und nachdem mein ehemaliger Arbeitgeber früh gestorben ist, habe ich kein anderes Unternehmen gefunden, bei dem ich meine Lehre abschließen konnte. Mein Ziel war es eigentlich, Dachdecker-Meister zu werden. Der Traum ist dann relativ schnell leider geplatzt.
Ich hatte damals einen sehr guten Freund, dessen Vater Bauingenieur ist, und der sagte mir, ich soll doch mal in seinem Büro schauen, wie der Alltag dort so ist. Es hat mich sehr fasziniert, was er leistet. Im Prinzip spiegelt sein Büro meines wider. Ich habe das, was er gemacht hat, prinzipiell genau so vom Stil her übernommen. Zur Zeit noch ein bisschen mehr durch den Architekturbereich. Das ist ja in der Regel ein Bereich, den die Bauingenieure nicht abdecken.
Das war eigentlich der Punkt, dieses “komm mal, schau es Dir an, wie toll dieser Beruf ist”. [….] Dann blieb für mich gar keine andere Wahl als Bauingenieur zu werden. Selbst der Bautechniker war für mich längst nicht so interessant. Das ist zwar auch ein toller Beruf, aber es war nicht der Beruf, den ich auf der Baustelle haben wollte. Und deswegen bin ich Bauingenieur geworden.
Was für eine Vertiefungsrichtung hast Du im Studium gewählt?
Ich habe tatsächlich keine Vertiefungsrichtung gewählt, weil mein Mentor damals gesagt hatte: “Rafael, Du brauchst keine, weil ich weiß, wo ich Dich in 10 Jahren sehe”. Und er hat mich genau in der Position gesehen, die ich jetzt mache, also nicht nur der reine Statiker, sondern das Planungsbüro. Eine Vertiefungsrichtung hätte mich eventuell in eine Richtung getrieben, die mich vielleicht unglücklich gemacht hätte. Deswegen hatte ich bewusst keine Vertiefung gewählt.
Den Master habe ich nicht gemacht, weil ich zu dem Zeitpunkt bereits 30 Jahre alt war und ich mir überlegt hatte: “Wenn ich das jetzt noch machen würde, welche Möglichkeiten hätte ich dann noch mehr?” Dann kam der Anruf der Kollegin, die mir sagte, ich solle doch bitte zu ihnen ins Büro kommen, da sie einen jungen Ingenieur benötigen, den sie zum Statiker und zum Planungsingenieur ausbilden können. Das haben wir dann auch genau so gemacht.
Das, was sich der Masterabsolvent über die 1,5 – 2 Jahre in der Theorie erarbeitet, habe ich durch die Praxis auch gelernt und hatte dann den Vorteil, dass ich nach 2 Jahren eigentlich problemlos große Bauwerke statisch bearbeiten konnte. Natürlich gibt es immer Fehlerquellen, ich bin ja mit 2 Jahren nicht ausgelernt, aber es war schon so, dass ich deutlich mehr Mut hatte, auch mal eben 4- bis 5-stöckige Gebäude zu rechnen.
Würdest Du sagen, dass Dich das Studium gut auf Deinen jetzigen Beruf vorbereitet hat?
Das Studium ist für den Berufszweig ein grundsolides Fundament. Die Hochschule Bremen ist sehr in Richtung der Tragwerkslehre ausgerichtet. Wenn man sich darin vertieft einarbeitet, dann hat man eine solide Grundlage, mit der man seinen späteren Werdegang beginnen kann.
Um auf die Frage genau zu antworten: Ja, das Studium hat eine gute Grundvoraussetzung für den Arbeitsalltag im Beruf geschaffen.
Welche Module haben Dir am meisten gebracht für die Berufspraxis? Was hast Du in besonders guter Erinnerung?
Da komme ich wieder zurück zur Architektin. Das war das Modul im 5. Semester, in dem man ein Mischmodul wählen konnte zwischen Architekten und Bauingenieuren, bei dem die Zusammenarbeit in einem Projekt geprüft wurde, also so wie man es im Alltag auch machen würde. Das war für mich das zielführendste Modul im ganzen Studium, weil ich mich mit jemandem auseinandersetzen musste, der eine ganz andere Betrachtungsweise bei der Planung hatte als man selbst.
Während man [als Bauingenieur] eher auf Kosten, Wirtschaftlichkeit und statische Belange achtet, wurden auf einmal Faktoren wie Ästhetik, Außendarstellung und Schönheit wichtig. […] Dann wurde auf einmal die Meinung, die man selber vertreten hatte, verworfen, weil es nicht funktionierte.
Das war für mich so beeindruckend, dass wir nach knapp 9 Jahren gemeinsam hier im Büro sitzen und die Symbiose zwischen Architektur und Bauingenieurwesen bei uns eigentlich fließend ist.
Vielen Dank für das Interview! Hast Du noch irgendetwas, das Du den Studierenden und Studieninteressierten mit auf den Weg geben möchtest?
Tatsächlich eine Kleinigkeit, insbesondere für diejenigen, die jetzt bereits studieren: Ich verstehe, dass man ein Studium ein bisschen wie die Abizeit betrachtet. Spaß am Leben gehört dazu und genau das wünsche ich jedem Studierenden, dass er bei seinem Studium den Spaß nicht verliert. Nicht nur am Studium selbst, sondern auch am Leben.
Und dass die nächste Generation, die an Ingenieurinnen und Ingenieuren heranwächst, unseren Beruf positiv verändert, auch was das Thema Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit angeht.
Und den Studieninteressierten, die vielleicht noch vorhaben Bauingenieurwesen zu studieren, empfehle ich ein Langezeitpraktikum zu machen. Nicht eine oder zwei Wochen, macht vier oder sechs Wochen in der Ferienzeit, gerne auch gestaffelt. Unser Jahrgang bestand aus 150 Studierenden und wir haben abgeschlossen mit 71, weil viele während des Studiums festgestellt haben, dass das überhaupt nicht ihr Fall ist.
Ich kann es nur wärmstens empfehlen: Macht eure Praktika bei kleinen Büros, bei großen Büros, bei Bauunternehmen. Das ist für euch definitiv für den Start eine Erleichterung.
Aber lasst euch nicht von alten Werten lenken. Mein Lieblingsspruch, den mir mein alter Chef als Bauingenieur mit 80 Jahren gesagt hat, war: “Auf alten Werten kann man nichts Neues schaffen”. Nur mit neuen Werten kannst Du etwas Neues schaffen und das ist der Grund, warum es auch wichtig ist, Ingenieure zu haben, die sich nicht nur an alteingesessenen Systemen festhalten, sondern ihren eigenen Weg finden.